Anthony Achong: «The Secrets of the Steelpan»
Kategorien: News, Artikel Author: Fellix Rohner 7. Oktober 2014
Mit ‹Secrets of the Steelpan – Unlocking the Secrets of the Science, Technology, Tuning and Operation of the Steelpan› legt Dr. Anthony Achong sein Lebenswerk vor, eine Zusammenfassung seiner umfangreichen Studien am Steelpan. Lesen Sie hier eine Buchbesprechung von PANArt-Tuner Felix Rohner.
1995 traf ich auf dem Congress of Advanced Materials in Cancun, Mexiko Thomas Rossing, den bekannten Physiker und Akustiker aus den USA. Als ich ihn in eine Diskussion verwickeln wollte, bemerkte er alsbald, dass mein Wissen im Bereich Akustik schwach war, und meinte: «Felix, first you have to read my book». Er sprach von seinem zusammen mit dem australischen Physiker Neville Fletcher veröffentlichten Standardwerk ‹The Physics of Musical Instruments›.
Zurück in der Schweiz besorgte ich das Buch gleich zweifach, denn da war die Tunerin Sabina Schärer, die nun mit mir zusammen etwas zu studieren hatte. Es galt besser zu verstehen, was wir seit Jahren mit dem Hammer am Blech und mit dem Stick in der Steelband erlebten.
Ein happiger Brocken! Welche Gesetze wirken in Musikinstrumenten, wie funktionieren sie? Parallel zum Eigenstudium bauten wir Instrumente der Welt, um zu verifizieren, was die Theorie sagte. Das Panginstrumentarium entstand auf diese Weise: Wir studierten Trommeln, Becken, Gamelaninstrumente, Gongs aber auch Aerophone und Chordophone.
Heute, in fortgeschrittenem Alter bin ich dankbar, dass Thomas Rossing mich damals aufforderte, die Dinge genau anzuschauen. Das Hang wie das Gubal sind Resultate ernsthafter empirischer Forschung am Blech.
Nun liegt wieder ein dickes Buch vor mir, verfasst von Dr. Anthony Achong aus Trinidad, der Heimat des Steelpans. Der eremitierte Professor für Physik an der University of the West Indies hat sich Zeit seines Lebens mit dem klingenden Blech beschäftigt, viele Steelpanbauer und Tuner gekannt und befragt, unzählige Experimente durchgeführt, viele Studenten und Instrumentenbauer unterrichtet. Im Jahr 2000 organisierte er die International Conference on the Science and Technology of the Steelpan (ICSTS), an der auch die PANArt-Tuner mit einigen Papers teilnehmen durften.
Mit ‹Secrets of the Steelpan - Unlocking the Secrets of the Science, Technology, Tuning and Operation of the Steelpan› legt Achong sein Lebenswerk vor, eine Zusammenfassung seiner umfangreichen Studien am Steelpan.
1200 Seiten dick ist dieser Schatz an Wissen. Zuerst sträubte sich etwas in mir, in diese abstrakte Welt einzutauchen, aber mit der Zeit fasste ich Fuss darin, denn ich merkte beim Durchblättern bald, dass es um die ernsthafte Verteidigung einer Kunst geht: Die Kunst des lebendigen Klanges aus dem Blech.
Der Respekt vor der künstlerischen Leistung, die hinter einer wohleingestimmten Steelband steckt, wächst beim Lesen dieses Buches. Es zeigt, wie anspruchsvoll die Arbeit eines Tuners ist, wie geduldig er jahrelang sein Gehör auszubilden hat, um die feinsten Modulationen herauszuhorchen, die das Ohr der Menschen als Impuls zum Leben erreichen. «You will become 50 until you are a tuner» sagte ein Trinidader zu mir, als ich 30 Jahre alt war. Heute verstehe ich den Satz, denn mein Hammer formt das Blech mit Leichtigkeit.
Der Klang aus dem Blech und seine Einbettung in einen Resonanzkörper kann eine starke Kraft entfalten. Der Tuner muss verantwortlich damit umgehen, denn diese Magie kann auch dazu eingesetzt werden, um Menschen Geld aus dem Sack zu ziehen und ihnen schlechte Klänge anzudrehen, die dem Spieler Energie nehmen statt geben.
Das redliche Bemühen Achongs, nicht nur die Theoretiker, sondern auch uns Tuner an sein Wissen heranzuführen durchdringt jede Zeile dieses Buches. Der Autor bezieht immer den Leser, den Menschen, mit ein. Nie ist es einfach nur trockene Theorie. Er weiss um die Komplexität der Materie und glaubt, dass der Leser beschenkt werden kann, wenn er nur geduldig seinem Text folgt und nicht aus Faulheit Teile, die er nicht zu verstehen glaubt, überspringt.
So kann sogar eine verrückte Formel sich zu öffnen beginnen und tiefere Zusammenhänge auch einem Laien offenbaren. So ist es jedenfalls mir ergangen. Das Buch ist ein wahres Geschenk an den Instrumentenbauer, der jeden Tag vor seinem Blech sitzt und staunend vor den komplexen Zusammenhängen kapitulieren muss, um wieder mit neuem Mut den Hammer vertrauensvoll ans Blech zu führen.
Ein Blechklangplastiker hat mit diesem Buch die Chance, sich mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Technologie des Steelpans auseinanderzusetzen. Er kann falsche Vorstellungen abbauen und seine Kunst verfeinern. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag, eine «contribution to the story» wie die Trinidader sagen.
Instrumente wie Steelpan und Hang sind komplexe Systeme. Das Studium der physikalischen Zusammenhänge kann verhindern, dass der Tuner müde wird und tote Klänge baut. Jeder oder jede, der oder die sich an die Blechklangarbeit wagt und gewillt ist zu lernen, wird von Achongs Buch profitieren. Es ist das Standardwerk des Steelpanbaus. Ältere Schriften wie ‹Steelpan Tuning› des schwedischen Physikers Ulf Kronman sind heillos veraltet.
Ein Steelpanbau ist keine Bastelarbeit mehr, bei der auf einem bauchig getriebenen Ölfass Schablonen hingelegt, Ränder um die Töne geschlagen, das Blech über einem Feuer gebrannt und dann Beulen in einer gewissen Tonhöhe eingestimmt werden.
Steelpanbau heute bedeutet die Kunst, ein Instrument in eine bestimmte Klangdynamik einzustimmen, die in einem Steelorchester eine bestimmte Funktion übernimmt. In dieser Kunst geht es vor allem um die Modulation der Teiltöne, die den Steelpanklang lebendig macht. Findet schwache oder keine Modulation statt, ist der Klang tot, das Instrument entzieht dem Spieler Energie, mögen die Klänge auch harmonische Qualitäten haben. Steelpan wie auch Hang und Gubal sind Instrumente, die dem Menschen dienen sollen, sein Leben zu verschönern. Tote Bewegungen auf totem Blech machen keinen Sinn.
Etliche Kapitel des Buches sind den Untersuchungen zur Modulation gewidmet, Amplituden- wie auch Frequenzmodulation. Dem Leser wird aufgehen, wie ein gutes Steelpan klingen muss. Für Achong ist ganz klar, dass das Stimmen eines Steelpans Kunst ist. Sie erfordert solides Handwerk und geübte Ohren.
Weitere spannende Kapitel handeln vom geeigneten Material für den Steelpanbau. Achong zeigt auf, warum Versuche mit Messing, Kupfer, Aluminium zum Scheitern verurteilt sind. Gutes Material erkennt er in dem Blech, das sich unter den Hammerschlägen veredelt, verfestigt. Dies ist die entscheidende Grösse und führt zum «sweet sound of Pan». Gute Bleche sind solche, die unter den Hammerschlägen hohe kompressive Spannungen aufbauen.
Die Einzigartigkeit des Steelpans besteht in der konvex-konkaven Anordnung von schwingenden Tonfeldern, die unter Kompression stehen. Diese ist für einen lebendigen Klang unabdingbar. Sie ist jedoch nicht sichtbar. Hier liegt das Problem: Das Wesentliche des Steelpanbaus liegt unsichtbar im Innern des Blechs.
Ein grosses Kapitel widmet Achong daher einer detaillierten Kritik am Patentantrag für das sogenannte G-Pan. Dort werden verschiedene Verfahren zum Bau eines ‹Steelpan Drum› genannten Instruments beschrieben, die vom traditionellen Steelpanbau abweichen und Verbesserungen darstellen sollen. Er betont, wie wichtig es ist zu verstehen, dass das Steelpan kein Drum, keine Trommel ist. Es ist ihm ein Hauptanliegen. Ein Steelpan als Trommel gespielt klingt in seinen Ohren schrecklich, denn der Spieler ignoriert die subtile Kunst des Panbauers.
Panist und Tuner sind nach Auffassung Achongs enger verknüpft als bei anderen Instrumenten. Er greift sogar zum Vergleich mit dem Computer: Der Tuner programmiert das Blech und der Spieler hat mit dieser Software zu arbeiten. Es ist ein gar feines Gefühl gefragt, ein solches Instrument zum Singen zu bringen.
In den Kapiteln zur Anregung der Tonfelder mittels Sticks (Schlägeln) erkennt der Leser sehr detailliert, wie wichtig die Übertragung der Energie auf solch hochsensible Schalen ist.
Wer schon einmal dem Konzert einer Trinidad Steelband beigewohnt hat, wird Achong beipflichten: Die Kunstform, die Trinidad geschaffen hat, darf nicht verblassen oder gar verschwinden! Achongs Buch kann jungen Tunern enorm viel geben, auf dass ihre Klänge aus dem Blech weiterhin Menschen verzaubern.
Anthony Achong
Secrets of the Steelpan
Xlibris 2013, 1200 Seiten
Bezugsquellen:
Ebook: Xlbris, Barnes & Noble
Paperback: Barnes & Noble, Scribd, Amazon