Herausforderung Blechklang
Kategorien: News, Artikel Author: Felix Rohner 8. April 2016
Die Kunst des Blechklangbildhauers besteht vor allem darin, seine Klangskulptur als System von Energiespeichern zu bauen, die miteinander kommunizieren. Auch für den Spieler ergeben sich Konsequenzen aus der Komplexität dieser Instrumente.
Die Familie der Perkussionsinstrumente ist die grösste aller Instrumentenfamilien. Man findet hier die unterschiedlichsten Idiophone, Membranophone, Luftklinger und Saiteninstrumente und dazu noch alle diejenigen, die man nicht einzuordnen weiss. Nicht nur die westliche Welt hat Kategorien geschaffen, um Ordnung in die reiche Welt der Musikinstrumente zu bringen, auch andere Kulturen wie die indische oder chinesische haben sie nach gewissen Kriterien geordnet.
Nun ist die Globalisierung voll im Gange, neue Musikinstrumente sind entstanden und werden noch entstehen. Neue Sichtweisen werden möglich, alte verschwinden lautlos. Hoffen wir jedenfalls, dass die Welt des gemeinsamen Musizierens nicht verschwindet und die menschliche Gesellschaft nicht in der industriellen, elektronischen Musik ersäuft oder gar unter Kriegsgeschrei verstummt.
So kommen von Seiten der Blechklangbildhauer gute Nachrichten: Es geht weiter!
Blechklanginstrumente wie Steelpan oder Hang sind Klangskulpturen der Moderne – hochsensible Resonanzkörper, die eine definierte Tonhöhe haben. Sie sind hybrid und schwerlich in die alten Kategorien einzuordnen.
Diese neuen, im 20. und 21. Jahrhundert entstandenen Instrumente verweigern sich dem schlagenden Spiel, sollen sie zum gemeinsamen Musizieren ausserhalb des Karnevals dienen. In der Steelband Trinidads, einer Kunstform, die Musik aus vielen Kulturen integriert, gilt jedenfalls die Devise: Don’t beat the pan, play it!
Das Spiel mit Händen auf blechernen Schalen ist etwas Neues und bedarf daher einer neuen Kunst des Handspiels.
Perkussionsinstrumente gehören wohl zu den ältesten Instrumenten der Menschheit und lassen sich in allen Kulturen finden. Mit ihnen lassen sich unendlich viele Klangeffekte erzeugen. So ist es auch verständlich, dass PerkussionistInnen sich als erste für die attraktiven Blechklinger interessiert haben und uns heute auf dem Netz ihr Können mit viel Virtuosität demonstrieren.
Wir TunerInnen von der PANArt verstehen uns als KlangbildhauerInnen, die aus ihrem Rohmaterial, dem Pangblech, Klangskulpturen schaffen, die der Not der Zeit entspringen. Sie einzuordnen macht keinen Sinn, denn sie entstehen jeden Tag neu, sie sind ein work in progress. Sie sollen den Menschen und ihrer Musik dienen, denn sie vermögen das Leben einzustimmen. Auf welche Weise die Blechklanginstrumente wie das Hang, das Gubal, das Hang Urgu und das Hang Gudu dies zu tun vermögen, und welche Einsichten uns die Arbeit mit dem Hammer gegeben hat, möchte ich im weiteren darlegen.
Anlass, das Thema einmal aufzugreifen, ist die kürzliche Präsentation des Beweises der Existenz der Gravitationswellen, die Einstein vor hundert Jahren mit seiner Relativitätstheorie postuliert hatte. Der Nachweis ist mittels Laserinterferometrie gelungen, einer Messmethode, die geringste Streckendifferenzen messen kann und die uns Tunern der PANArt viele wertvolle Erkenntnisse über unsere Arbeit am klingenden Blech gebracht hat, unter anderem die oben schon erwähnte Sicht auf solche Instrumente.
Zwischen 1988 und 2008 arbeiteten wir mit den Physikern Thomas Rossing und Uwe Hansen zusammen, die sich der Forschung am Steelpan Trinidads verschrieben hatten. Das Schwingungsverhalten unserer Klangskulpturen wurde von den beiden Akustikern eingehend mit holographischer Interferometrie untersucht. Mit dieser Messmethode können kleinste Schwingungsamplituden erfasst werden. Das wichtigste Resultat der gemeinsamen Forschung war das Verständnis für die Komplexität der akustischen Phänomene im Steelpan und beim Hang. Die holographische Interferometrie gab uns Einblick in die hochkomplexe Welt dieser Instrumente, deren Klänge viele Menschen in den Bann zu ziehen vermögen.
Hier sehen Sie ein Bild eines mit 3252,9 Hertz angeregten Ping (Soprano Pan) der PANArt: Die ganze Schale strahlt ab, in Abhängigkeit von Anregungsstärke und Anregungsort. Daneben das zentrale Klangfeld eines Hang (Ding) mit seinen fünf tiefsten Schwingungsmoden.
Man kann sich gut vorstellen, dass diese Einblicke uns TunerInnen nicht nur erstaunt haben, sondern auch Respekt erheischten. Welch wundersame Kunst wir da ausübten! Das ging über das Verstehen hinaus. Das war echt mystisch. Wir ordneten einen Kosmos, wir stimmten gar keine Töne ein, sondern eine Unmenge von Speichern, die untereinander Energie austauschten. Es galt, gezielt Energie zu speichern mittels einer Geometrie, die Biegewellen reflektiert oder auch passieren lässt, so dass mit anderen Speichern (Schwingungsmoden) ein kommunikatives Spiel entsteht.
Ein solches Instrument – das war von nun an klar – kann vom Spieler nicht beherrscht werden. Jede Anregung ergibt einen neuen Klang. Kein Klang kann wiederholt, das Instrument nicht im herkömmlichen Sinne gemeistert werden. Da werden keine Töne, Noten gespielt. Da ist ein Reichtum an Farben, ein schillerndes Geschehen, ein oszillierender, bezaubernder Kosmos.
Diese Erkenntnisse wurden durch unsere Begegnung mit Professor Anthony Achong vertieft. Der Physiker, damals tätig an der University of the West Indies (UWI) und Organisator der International Conference on the Science and Technology of the Steelpan (ICSTS 2000) eröffnete uns den Blick für die Kunst des Stimmens. Seine Untersuchungen an Steelpans zeigen auf, wie die Meister des Steelpanbaus das Eisenblech unter stetem Hämmern so umzuformen verstehen, dass die eingebrachte Spannung durch Modulation der Teiltöne eine Klangdynamik gestaltet, die man sweet sound of steel nennt: Das blecherne Chaos gebändigt in reizvoller Weise – beautiful pan.
Im Verständnis unserer Arbeit als TunerInnen hatten wir einen gewaltigen Schritt getan. Da war kein Zweifel mehr: Der Spielende durfte das Instrument nicht mehr wie ein Objekt von sich abtrennen, sondern musste es als Erweiterung des eigenen Körpers verstehen. Diese neue Sicht beflügelte unsere weitere Arbeit. Jetzt galt es das Wesen unseres Hörens und die Arbeitsweise unserer Sinne zu studieren.
Das Studium des Hörens und Horchens führte durch die Literatur der Physiologie des Ohrs, durch Bücher über die Tomatis-Methode, zur pränatalen Psychologie, zur Hypnose. Die tiefere Beschäftigung mit dem Thema der Sinneswahrnehmung des Menschen setzte uns weiter ins Staunen. Die Handfläche entpuppte sich mit ihren Sensoren für Druck, Schwingung, Schmerz und Temperatur als hochsensibles Glied unseres Körpers.
Es wurde nun klar, dass das Spiel auf der steifen, hochgespannten Pangspielfläche eines Bewusstseins bedurfte, dass hier hochsensible Welten aufeinander trafen: Hier die Hand, dort die gekrümmte Spielfläche unter hoher Spannung. Das Hang war ein Klangkörper, dem wir mit Respekt begegnen sollten, sicher keine Trommel, die geschlagen werden wollte.
Wir entwickelten eine neue Kultur des Tanzes der Hände, die der Übertragung der Energie des Spielers auf die Spielfläche Rechnung tragen sollte. Wie der Tablaspieler mit seinen Händen immer im Kontakt mit der hochgespannten Haut ist, sollte der Hangspieler immer im Kontakt mit dem Resonanzkörper bleiben, um nicht willkürliche, chaotische Klänge zu erzeugen und seinen Ohren zu schaden. Es war ein Mass gefordert. Diese Einsichten erhielten ihre schriftliche Fassung in der Hangwegleitung von 2010.
Das Hang ist ein Musikinstrument, das dem Spieler wie ein Spiegel sofort eine Antwort gibt. Und diese direkte Antwort wirkt wie ein Seismograph, ein Verstärker, ein Katalysator. Es geschieht mit dem Spieler etwas, was sein Bewusstsein betrifft. Grenzen werden aufgelöst, der Klang ist nicht ortbar, der Spieler wie der Zuhörer verschmilzt mit dem grossen Ganzen. Dieses Phänomen ist in Tausenden von Briefen an die PANArt belegt.
Da es nun klar wurde, dass das Hang keine Trommel, kein Hang Drum sein konnte, gab es zunehmend Spannungen zwischen den PANArt TunerInnen und den Hangspielern, die das Hang als Trommel spielten. Im Gegensatz zu den Anweisungen zum komplexen Spiel, wo die Hände möglichst stetig in Kontakt mit der magischen Sphäre sind (gleichsam dem Tanz mit einem Partner), spielten sie das Hang als Perkussionsinstrument, das heisst, sie versuchten, rhythmische Patterns mit Melodien zu verbinden, die Hände meist weit über der Spielfläche führend. Ihr Spiel war gekennzeichnet durch den Fluss der Abläufe von Mustern, die oft auch im Bemühen gipfelten, Musikstücke festzuhalten, gar mit Notation. Dem komplexen akustischen Körper wurden sie so nicht gerecht und die Klänge, die erzeugt wurden, erreichten das Ohr oft in zerrissener Form.
Durch die grosse Nachfrage nach Hanghang erschienen Kopien auf dem Markt, die in den Anfängen vor allem von ehemaligen Steelpanbauern hergestellt wurden. Da vor allem perkussiv orientierte Menschen solche Nachbildungen kauften, stieg der Druck, dem neuen Perkussionsinstrument einen Namen zu geben.
Der amerikanische Steelpanbauer Kyle Cox von Pantheon Steel aus den USA brachte den Begriff Handpan auf den Plan, denn als Marke der PANArt stand der Name Hang nicht als Sachbezeichnung zur Verfügung. Dass sich die PANArt weigerte, den Begriff Hang Drum zu akzeptieren und ihre Marke verteidigte, erwies sich in der Folge als sinnvoll. Während wir HangbauerInnen unser Instrument als Klangskulptur verstanden, setzte sich von den USA her der Begriff Handpan schnell durch, obwohl einige Hangnachbauer sich dagegen wehrten. Die PANArt bezeichnete ihre Schöpfung Hang nie als Handpan, da es sich vom Steelpan Trinidads in Bezug auf Material, Form, Spielweise und Klang entfernt hat. Der neue Begriff führte in der Folge zu Missverständnissen.
Die Situation im Bereich des klingenden Blechs kann nun etwa so beschrieben werden: Trinidad, das Mekka des Steelpans, interessiert sich nicht für den Hype des Handpans. Die Steelbandkultur der karibischen Insel hat genug mit sich selbst zu tun.
Die PANArt-TunerInnen sind im Jahre 2000 mit dem neuentwickelten Hang und anderen Panginstrumenten zur International Conference on the Science and Technology of the Steelpan (ICSTS 2000) in Trinidad eingeladen worden. Das Hang erklang und wurde freundlich empfangen. „This is not our culture“ war eine der häufigen Aussagen und wir konnten friedlich nachhause fahren. Das Handspiel wurde im Lande, wo kollektives Spiel auf Steelpans mit Schlägeln vorherrscht, doch als etwas Seltsames empfunden.
Die Euphorie um die Steelbands in Europa und Amerika hat stark abgenommen. Die Gründe sind mannigfaltig. Das Steelpan entzieht sich jedenfalls der Standardisierung und der Klang der Steelbands dürfte etwas ausgereizt sein. Als Klangfarbe dürfte der einst exotische Klang in verschiedenen Musikstilen echt oder synthetisch seinen Platz immer wieder finden.
Auch ein Abflauen des Hypes im Handpanbau (gegen 100 Nachbauten des Hang) lässt sich absehen. Ungute Entwicklungen haben in den letzten Jahren dämpfend gewirkt: Schnellbauten werden zu hohen Preisen über das Internet an unerfahrene KäuferInnen gebracht. Unzählige Skalen geben ein verwirrendes Bild ab.
Wirklich neue Entwicklungen sind nicht auszumachen, es sei denn, man möchte das Oval aus Barcelona erwähnen, ein hangförmiger Midi-Controller aus weissem Kunststoff. Geht man vom wichtigsten Wesenszug der Blechklangskulpturen aus, ihrem stark nicht-linearen Verhalten, ist dies – vorsichtig ausgedrückt – eine klägliche Krücke. Da wird fraglos nur die Hülle des Hang genommen und eine beliebige Klangwelt elektronisch eingebaut. Die generöse Einladung des Hang, seine Kultur der Berührung im direkten Kontakt mit dem Instrument zu entwickeln, wird hier gänzlich ignoriert.
In Trinidad wurde übrigens schon vor einigen Jahren ein Midi-Controller in Form eines Steelpans entwickelt: Beim PHI (percussive harmonic instrument) werden Kunststoffsensoren mit Sticks angeschlagen. Ein ähnliches Instrument, das E-Pan, kommt aus Kanada.
Auch Schlitztrommeln in Hang- oder Curlingsteinform sind keine Weiterentwicklungen und haben mit der Blechklangkunst überhaupt nichts zu tun. Leider werden sie oft unter der Bezeichnung Handpan oder als Alternative zum Hang angeboten. Die eingesägten Zungen sind im Gegensatz zu den eingespannten Klangfeldern des Steelpans und des Hang nicht impulsartig und klingen lange. Ihr stark unharmonisches Spektrum ist unvorteilhaft. Um musikalisch wirksam eingesetzt werden zu können, müssen die Zungen gedämpft werden. Die entsprechende Dämpftechnik wird im indonesischen Gamelanorchester angewandt.
Der Zwang, Tonsysteme in gleichschwebender Stimmung in die Blechskulptur einzustimmen, verhindert meiner Meinung nach die Weiterentwicklung zu höheren Qualitäten, wo diese Instrumente ihre therapeutische, gar medizinische Wirkung entfalten könnten.
Betrachtet man eine Blechklangskulptur als Ganzheit, wie wir PANArt TunerInnen dies tun, bedeuten traditionelle Tonsysteme wie Skalen eine Einengung der künstlerischen Freiheit. Daher plädieren wir dafür, dem Blech – ob mit Hammer oder Maschine – keine neuen Zwänge aufzubürden, sondern ganz den Gesetzen der Physik und der menschlichen Wahrnehmung zu folgen. So wird eine Vereinnahmung der Instrumente von Kulturen verhindert und Individuen kann es gelingen, wieder frischen Zugang zur Musik zu finden. Blechklanginstrumente sind kein Ersatz für traditionelle Musikinstrumente, sie besitzen ihre ganz eigene Qualität und fordern daher vom Spieler ein grosses Mass an Aufmerksamkeit in musikalischem Neuland.
Die rasante Verbreitung von Information und die damit einher gehende Nachfrage nach Instrumenten setzt auch die Blechklangplastiker unter Druck, schnell und mehr zu produzieren. Mit dem Einpressen von Tonfeldern in die Resonanzschale ist es jedoch nicht getan! Im Zentrum der ganzheitlichen Kunst des Tuners steht das Erarbeiten der Energiespeicher seiner Blechklangskulptur mit dem Hammer. Ohne diese Arbeit entstehen banale Schnellbauten, deren Reiz sich schnell erschöpft. Ausgereizt werden die gebrauchten Instrumente dann wieder auf die Verkaufsplattformen des Internets gebracht.
Die kriminellen Machenschaften, die sich um diese Instrumentenfamilie ausbreiten, stimmen nachdenklich. Parallelen zum Drogenhandel sind unverkennbar. Vor allem das Hang wird in arger Art und Weise missbraucht. Menschen verlieren viel Geld oder erhalten kaputte Instrumente. Umgestimmte Klangskulpturen der PANArt werden als Hang verkauft. Es herrscht bei der Käuferschaft weitgehend Unklarheit über Qualitätskriterien der neuen Instrumente.
Die PANArt ist mit Gubal, Hang Gudu und Hang Urgu, sowie mit den drei Saiteninstrumenten Pang Sei, Pang Sai und Pang Sui in musikalisches Neuland vorgestossen. Musik wird hier nicht mehr als Performance gesehen, sondern – wie schon beim Hang – zum Lobe des Seins.
Das Pangensemble ist ein Ganzes. Der Einzelne bettet sich ein und spricht in musikalischer Sprache mit den MitspielerInnen. Der Pangspieler weiss, dass das Instrument zu ihm spricht und nicht als Objekt bedient wird. Allzuleicht bläst sich sonst das Ego auf und verliert das Mass. Dann herrscht eben wieder Karneval...